From nose to tail: Was wir von unseren Großeltern lernen dürfen

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Hausschlachtungen waren üblich auf dem Land. Meistens wenn der Winter ins Land zog und die ersten Schneeflocken die Bergspitzen bedeckten, wurde ein Schwein, Rind oder Schaf geschlachtet.

Vom Schädl über die Innereien bis zu den Haxl´n wurde alles verwertet. Schinken, Würste, Braten, Speck und Eingemachtes versorgten die Familien an Sonn- und Feiertagen. Wenn es Fleisch gab, war es etwas Besonderes. Bevor die Tiere geschlachtet wurden, durften sie am Hof nach Lust und Laune im Dreck wühlen und sich die Bäuche vollschlagen. In gewissen Maßen waren die Tiere frei und durften ihre Seele leben. Sie wurden nicht einzig und allein dazu geboren, um nach einigen Wochen wieder zu sterben, wurden nicht bei künstlichem Licht in Stallungen gehalten, sondern grasten auf dem eingezäunten Grundstück vor dem Haus. Die Tiere waren meist der gesamte Stolz und Besitz der Familie und dienten dem Überleben. Gerade deswegen wurden die Tiere mit äußerst viel Bedacht gehalten.

Zumindest bei meinen Großeltern entsprach dies der Realität. Bis zuletzt hat mir meine Oma Angela von den “guten, alten Zeiten” erzählt. So schwer sie es auch gehabt haben mochte in der Nachkriegszeit, sie hat sich dennoch bis zuletzt nach der Einfachheit gesehnt, so schien es mir. Anstatt mit Plastikspielzeug zu spielen, tobten die Kinder im Wald oder sammelten Kastanien, aus denen sie kleine Männlein bauten. Der Kleiderkasten war wohlüberlegt sortiert und zeugte von Minimalismus. Wurde ein Kleidungsstück kaputt, wurde geduldig genäht und gestopft. Jedes Kind hatte ein einziges Paar Schuhe, das getragen wurde, bis sich die Sohle aufgelöste hat. Um das Immunsystem zu stärken, wurde im Frühling fleißig Brunnenkresse am benachbarten Flussbeet gesammelt. Wurde jemand krank, war der erste Weg in die eingene Hausapotheke des Kräutergartens oder in den Wald, um Pech von den Bäumen für eine Salbe zu sammeln. Beim Greissler im nächsten Ort gab es keine Plastiksäcke und keine Flugmango aus Thailand.

Jedes Jahr bis zu ihrem Tod ließ sie kurz vor Ostern ein Schwein für unsere Familie schlachten. Sie hatte nicht viel, aber dieses Geschenk kam von ganzem Herzen. Das gesamte Schwein wurde verwertet. From Nose to Tail eben. Für meine Großmutter war die vollständige Verwertung das Normalste der Welt.

Das from Nose to Tail Prinzip bzw. die vollständige und bedachte Verwertung von Lebensmitteln halte ich für die Basis eines nachhaltigen gastronomischen Konzepts. Man verwertet nicht nur die begehrtesten Teile eines (gut gehaltenen) Tieres, sondern verwertet möglichst alles davon - von Kopf bis Schwanz.

Bekannt gemacht hat das ganzheitliche Verzehrkonzept der Koch Fergus Henderson. Wenn man schon Tiere tötet, dann sollte man dem Tier zumindest ein schönes Leben und einen respektvollen Umgang mit dessen Körper zugestehen. Das gilt natürlich nicht nur für Fleisch, sondern für jedes Lebensmittel. Wenn wir Nussmilch produzieren, verwenden wir die übrig gebliebenen Nüsse für das Brot oder machen daraus Kaffeekekse. Wenn wir eine Karotten-Ingwersuppe zubereiten, machen wir aus dem Trester vegane Gemüse-Bulgurlaibchen, aus den Karkassen des Biohuhns wird eine köstliche Suppe zubereitet, Wurzelgemüseabfälle werden für den Fonds verwendet. Kochen mit Köpfchen.

In Zeiten des Rosinenpickens ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Uns wird es mittlerweile ermöglicht, sich von allem das Beste zu nehmen, seien es die besten Filetstücke, der schönste Urlaub, die schnellsten Autos, die attraktivsten Partner via Tinder (jederzeit austauschbar via Mausklick). Der Preis dafür ist hoch.

Auf dem Lehrbuch im Geschichtsunterricht der 5.Klasse Gymnasium stand geschrieben: “Aus der Vergangenheit lernen” - womöglich sind wir im Jahr 2021 stärker als jemals zuvor dazu angehalten, innezuhalten und den Geschichten unserer Vorfahren zu lauschen, um von ihnen Bescheidenheit und Demut zu lernen.