Generation Honiglebkuchen 2.0

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Ja, wir leben in wahrhaft herausfordernden Zeiten. Und ja, wir leben zum Glück im Schlaraffenland. Schlaraffenland, da wir von unserem großartigen Sozialsystem aufgefangen werden, auch wenn wir uns nicht bis mäßig am Erhalt eines wirtschaftlichen Kreislaufs beteiligen (können). Ein Segen in Zeiten von Corona und absolut notwendig für Bedürftige und Kranke.

Unsere Zeiten sind paradox. Paradox, aufgrund der Tatsache, das Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen und wir dennoch keine MitarbeiterInnen finden. Keine KöchInnen. Keine InkassokellnerInnen. Keine FerialpraktikantInnen. Keine Küchenhilfen. Keine Reinigungskräfte. Kein Niemand.

Paradox, weil wir vor einer ungewissen Zukunft stehen, Menschen Angst vor finanziellen Engpässen haben und viele Betriebe dennoch keine Arbeitskräfte finden.

Unser Gasthaus ist glücklicherweise nach dem Lockdown sehr viel besser angelaufen, als gedacht, weshalb wir nach kurzer Zeit alle MitarbeiterInnen wieder aus der Kurzarbeit zurückholen konnten. Die Gäste sehnen sich nach Kommunikation, ungehaltenem Lachen bis der Bauch weh tut, Berührungen, spontanen Gesprächen, dem Austausch von Lebensgeschichten. Wir dürfen unseren Gästen die Bühne dafür bieten. Noch.

Der erhöhte Bedarf an MitarbeiterInnen in den Sommermonaten konnte jedoch weder vom AMS, noch von Höheren Schulen gedeckt werden. Zu attraktiv sind wohl die Arbeitslosengehälter, die die Regierung pünktlich jeden Monat ausbezahlt. Da wir 7 Monate Lockdown kompensieren müssen und bereits mit der nächsten Corona-Welle im Herbst rechnen (unsere Politiker verfügen wohl über hellseherische Fähigkeiten), können wir es uns (eigentlich) nicht leisten, Gäste wegzuschicken, aufgrund von Personalmangel. Genau dies tun wir jedoch. Täglich. Viel zu oft. Da wir unsere Qualität und die Freundlichkeit gegenüber unseren Gästen bewahren wollen und unsere MitarbeiterInnen nicht ausbeuten wollen. Was bleibt sind nicht selten böse Blicke und Vorwürfe. Eine schlechte Rezension auf Tripadvisor oder Google ist schnell geschrieben. Vorwiegend anonym versteht sich.

Der Versuch, FerialpraktikantInnen in umliegenden Gemeinden zu gewinnen, blieb ebenfalls ergebnislos, da laut Schulunterrichtsgesetz Paragraf 11 in Kraft tritt. Sollte keine Praktikumsstelle gefunden werden, muss auch kein Praktikum absolviert werden. Ein Stück Papier im Tausch gegen Lebenserfahrung. Ein Anruf in der benachbarten HLW, im BG/BRG und in der Hotelfachschule Semmering bestätigte uns, dass sich in der gesamten Region niemand finden ließe, der ein bezahltes Praktikum antreten möchte.

Eine Jugend, die verzichtet, titelt es aus der Dienstag-Ausgabe der Kleinen Zeitung vom 28.Juli. Der Artikel hat sofort meine Aufmerksamkeit. Verzichtet wird maximal auf eine gehörige Portion Erfahrung und darauf, einen Beitrag zu leisten, am großen Ganzen. Allem Anschein nach, denn sonst hätten sich ja SchülerInnen darüber gefreut, trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten, ein bezahltes Pflichtpraktikum angeboten zu bekommen. Auch Stellenangebote, die das ganze Jahr ausgeschrieben werden, finden wenig bis keine Aufmerksamkeit.

Wenn sich jemand meldet, dann unter äußerst fordernden Bedingungen, denen wir nicht gerecht werden können, um wirtschaftlich arbeiten zu können: kein Wochenende, nicht zu lang, nicht zu früh, kein Teildienst, da nicht mobil, am Besten von 08:00-14:00. 4 Tage Woche. FerialpraktikantInnen wollen maximal 1 Monat und zwischen 2 und 4 Tagen pro Woche arbeiten. Zeit, die wir allein schon zum Einschulen benötigen.

Zum Glück dürfen wir mit einem äußerst fleißigen Stammpersonal auftrumpfen, wofür wir sehr dankbar sind - jedoch verlieren auch unsere Honigbienen zusehens an Motivation, wenn sie deren MitbürgerInnen beim Nichtstun beobachten und dafür beinahe dasselbe Gehalt abstauben, wie es der Kollektiv vorgibt. "Mit ein paar Stunden Schwarzarbeit und Arbeitslosengeld kommt man ganz gut durch!" - diesen Satz hab ich nicht zum ersten Mal gehört.

Gesunde, junge Menschen. 40 minus. Gott sei Dank gibt es immer wieder Perlen, die uns vom Gegenteil überzeugen und trotz mangelnder Ausbildung ihr Bestes für den Betrieb geben. Doch diese Perlen sind rar. Aber wir werden sie finden, davon bin ich überzeugt. Falls jemand motiviert ist, an einem der wenig noch übrig gebliebenen Wirtshäuser des Landes mitzuwirken, würden wir uns sehr über eine Bewerbung freuen. Denn wir möchten unseren Gästen auch in Zukunft eine Bühne bieten.

Auch die ältere Generation, die es bereits mehr als verdient hätte, kürzer zu treten und in Pension zu gehen, hält bei uns im Gasthaus die Stellung, trotz körperlicher Beschwerden. Ohne meine Eltern, die tagtäglich alles geben, obwohl sie schon längst im mehr als verdienten Ruhestand sein könnten, hätten wir vermutlich schon längst zusperren müssen.

Nicht alleine die Coronaviren werden die Wirtschaft und unser Gasthaus ruinieren und seinen Tribut fordern - vielmehr ist es die Einstellung der Gesellschaft und dass wir in unserem erhaltenswerten Sozialsystem, an der falschen Stelle großzügig sind, für die Generation Honiglebkuchen. 20% relaxed Work - 80% Adrenalin-Life Balance.

Hart arbeitende Menschen sollten für deren Einsatz belohnt werden (höhere Pensionen, weniger Abschläge) um Ihnen die gebührende Anerkennung für den Erhalt dieses Systems zu schenken.
Man darf gespannt sein, wie die Regierung unser System in Zukunft erhalten wird, wenn gut gehende Klein- und Mittelbetriebe zusperren müssen, da sie keine MitarbeiterInnen finden. Allerdings können wir dann endlich Alle zusammen im Schlaraffenland entspannen und uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

Bleibt gesund und motiviert.

Eure Tanja