Eine bedrohte Art - das Wirtshaus

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Hat es 1978 in Österreich noch etwa 15.000 Wirtshäuser gegeben, waren es 2016 noch 8500. Im Jahr 2020 waren es lediglich noch 5700. Immer mehr Orte, in denen es kein Wirtshaus mehr gibt. Corona wird diese Zahl wohl noch mehr nach unten manövrieren.

Generationsbetriebe, die über ein Jahrhundert oder länger aufgebaut wurden, finden keinen Anklang mehr bei der jungen Generation. Auch ich habe damals mit mir gerungen, den Familienbetrieb, den meine Eltern in mühevoller Arbeit aufgebaut haben, weiterzuführen.

Es ist kein Honigschlecken. Gastronomie bedeutet harte Arbeit, Disziplin, unberechenbare Arbeitszeiten, Wochenenddienste, arbeiten, wenn andere frei haben. Die Arbeit in der Küche ist wie Hochleistungssport, denn die Hitze, zusammen mit dem Druck und dem Stress verlangt meinen Eltern und unserern MitarbeiterInnen dort sehr viel ab. Auch der Service vollbringt tagtäglich wahre Wunder. Multitasking ist Voraussetzung, um überhaupt bestehen zu können. Gleichzeitig kassieren oder servieren, denken, Gäste unterhalten, Sonderwünsche erfüllen, emphatisch sein, Betrunkene unter Kontrolle bringen, Gäste platzieren, Zimmer finden, Zeitungen bringen, nicht über herumlaufende Kinder stolpern, Kopfwehtabletten organisieren, über Politik diskutieren, lachen und trotzdem authentisch bleiben. Die Liste könnte unendlich fortgesetzt werden. Corona beschenkt uns mit weiteren Aufgaben. Kontrollieren. Registrieren. Testen. Nebenbei ist man im Sommer schon mal 20 km auf den Beinen. Hochleistungssport eben.

Ist es demzufolge verwunderlich, dass sich das niemand antun möchte? Entweder bist du für diesen “Wahnsinn” geboren oder eben nicht. Ein starker Charakter, die Leidenschaft zu Kulinarik, die Liebe zu Menschen und Durchhaltevermögen sind ganz klar die Basis, um den Beruf ausüben zu können.

Da ich im Wirtshaus aufgewachsen bin und vor 10 Jahren den elterlichen Betrieb übernommen habe, kann ich heute, im Nachhinein betrachtet, ganz klar sagen, dass mich die Gastronomie zu einem anderen Menschen gemacht hat und mich bereichert hat, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte: Menschen, die als Fremde zu uns gekommen sind und nun Freunde sind, sind wohl die größte Bereicherung. Mein Netzwerk ist groß - davon profitiere ich jeden Tag. Ich habe Zugang zu Menschen aus allen Bereichen des Lebens. Aus vielen verschiedenen Ländern. Ich erhalte dadurch Einblick in sämtliche Berufsgruppen, Religionen, in unterschiedliche Lebensphilosophien, Erfahrungsschätze und Lebensgeschichten der Gäste. Was man von seinen Gästen lernen kann, wenn man sich dafür öffnet, ist schier unendlich und sehr bereichernd. Allein diese Tatsache macht diesen Beruf für mich zu einem persönlichen Gewinn.

Außerdem lernt man, auf Fremde zuzugehen und kann jeden Tag durch kleine Aufmerksamkeiten - sei es ein Lächeln, ein respektvoller Umgang, ein mit Liebe gekochtes Essen - Freude schenken. Dieser Beruf hat mich auch gelehrt, mit Kritik umzugehen, hat mich abgehärtet und mich innerlich stark gemacht.

Ein Ort ohne Wirtshaus - irgendwie wäre das so, als hätte man den Menschen die Bühne gestohlen. Das durchsichtige Band, das uns als Ort miteinander verbindet. Das örtliche Wirtshaus bietet der Bevölkerung so viel mehr, als nur das Stillen von Hunger und Durst. Viele unserer Stammgäste bezeichnen uns als zweites Wohnzimmer. Bei uns kann man sich Zuhause fühlen, kann Sorgen und Ängste für kurze Zeit vergessen, lachen bis der Bauch weh tut, sich austauschen, abreagieren, netzwerken in gemütlicher Atmosphäre, flirten, einfach reden. Gerade in Zeiten von Corona merkt man wieder, wie wichtig ein Wirtshaus für die Gesellschaft ist.

Leider lässt der Ruf der Gastronomie in der Gesellschaft zu wünschen übrig. Wenn man die vergangenen Jahrzehnte betrachtet, nicht weiter verwunderlich. Ich denke, dass diese Tatsache sehr viele junge Menschen davon abhält, überhaupt in die Lehre zu gehen. Man hört immer wieder in den Medien, dass die Arbeitszeiten doch so hart sind, da man auch am Wochenende arbeiten muss. Das muss man auch in anderen Branchen wie in der Humanmedizin, der Veterinärmedizin, in der Pflege.

Auch in Punkto Verdienst ist die Politik gefragt, die Lohnnebenkosten endlich zu senken, damit unsere MitarbeiterInnen mehr verdienen. Die Gewinnspanne in der Gastronomie ist leider gering, weshalb es sich Betriebe nicht leisten können, mehr zu zahlen. Es wäre dringende Aufgabe der Politik und des AMS, junge, geeignete Menschen dafür zu begeistern, diesen Weg zu gehen. Wenn man bedenkt, wieviele junge Menschen alleine in der Steiermark als arbeitslos gemeldet sind und frustriert sind, da sie keinen Job finden, frage ich mich, wofür das AMS Menschen in irgendwelche Kurse steckt, anstatt erstmal die Lücken in der Wirtschaft zu füllen. Jeder Tourismusbetrieb und jeder Handwerksbetrieb, den ich kenne, sucht ständig nach motiviertem Personal - uns eingeschlossen. Dabei ist es nicht wichtig, ob man diesen Beruf gelernt hat. Wichtig ist, dass man arbeiten und lernen möchte. Das ist die einzige Voraussetzung, um Arbeit zu bekommen.

Unvorstellbar, was es für die Bewohner einers Ortes bedeuten würde, sollte es eines Tages keine Wirtshäuser mehr geben - zumindest in meinem Kopf.

Nina Wiedermann